FOTO – KUNST – FOTO Von Julia Margaret Cameron bis Thomas Ruff
27. Oktober 2024 bis 23. Februar 2024 | Clemens Sels Museum Neuss
Erstmals in Deutschland erkundet das Clemens Sels Museum Neuss, das hierzulande eine der bedeutendsten Sammlungen zum Symbolismus besitzt, mit der Ausstellung FOTO – KUNST – FOTO die präraffaelitischen und symbolistischen Einflüsse auf die Geschichte der (Kunst-)Fotografie.
Gezeigt werden mehr als 100 fotografische Werke von 45 Künstler*innen, darunter zahlreiche historische und selten gezeigte Originalaufnahmen sowie ausgewählte Beispiele von malerischen Tendenzen in der Fotografie der Gegenwart, darunter Werke von Julia Margaret Cameron (1815–1879), Gertrude Käsebier (1852–1934), Alfred Stieglitz (1864–1946), Clarence Hudson White (1871–1925), Edward Steichen (1879–1973), Eleanor Antin (*1935), Thomas Ruff (*1958), Tom Hunter (*1965), Elger Esser (*1967) und Céline Bodin (*1990).
Das Spektrum der ausgestellten Arbeiten umfasst zahlreiche Porträts, Aktdarstellungen und Landschaftsfotografien – unter anderem mit einem Schwerpunkt zur Darstellung der Nacht, einem bedeutenden Sujet des Symbolismus – sowie literarisch inspirierte Gruppenbildnisse im Stil des Tableau vivant, etwa eine Auswahl der von Julia Margaret Cameron Mitte der 1870er Jahre geschaffenen Aufnahmen zu den von der mittelalterlichen Artus-Sage inspirierten „Königsidyllen“ (1859–1885) Alfred Tennysons. Und die Arbeit „Der Weg nach Hause“ (1998) des zeitgenössischen britischen Fotografen Tom Hunter ist eine Neuinterpretation des wohl berühmtesten präraffaelitischen Gemäldes überhaupt: John Everett Millais „Ophelia“ (1852), welches den tragischen Tod der Geliebten von William Shakespeares Hamlet schildert.
„Beleuchtung des Symbolismus aus einer neuen Perspektive“
„Mit FOTO – KUNST – FOTO widmet das Clemens Sels Museum Neuss erstmalig eine Ausstellung ausschließlich der Fotokunst und beleuchtet somit den wichtigen Sammlungsschwerpunkt des Symbolismus aus einer neuen Perspektive“, freut sich Dr. Uta Husmeier-Schirlitz, Direktorin des Clemens Sels Museums Neuss. „Mit dieser Zusammenschau historischer Aufnahmen und ausgewählter Positionen zeitgenössischer Fotografie führen wir in unserem Programm die Auseinandersetzung mit der thematischen und künstlerischen Vielfalt des Symbolismus fort und erweitern den Blick auf malerische Tendenzen in der Fotografie der Gegenwart.“
Die Erfindung der Fotografie revolutionierte im 19. Jahrhundert die visuelle Kultur. Von Anfang an gab es dabei namhafte Protagonist*innen, die in ihr vielmehr eine neue Kunstform als nur ein technisches Hilfsmittel sahen. Diese Amateurfotograf*innen stammten zumeist aus dem Adel, der gehobenen Mittelschicht oder standen im öffentlichen Dienst. Eine für die Zeit typische und der Ästhetik des Realismus verpflichtete Fotografie lehnten sie ab. So zeichnete sich ihre künstlerische Praxis durch eine besondere Experimentierfreude aus, bei der oftmals verschiedenste Abzugstechniken mit malerischen und grafischen Elementen kombiniert wurden: Durch die händische Bearbeitung der Negative und Abzüge wurde die Fotografie in ihren Augen zu einem wahrhaft künstlerischen Medium. Besonders beliebt war im Übrigen die Technik des Gummidrucks, da dieser sowohl großformatige als auch farbige Abzüge ermöglichte und zudem die Anmutung von Rötelzeichnungen, Lithografien und sogar Gemälden haben konnte. Auf der Suche nach bildwürdigen Kompositionen ließen sich die frühen Vertreter*innen der künstlerischen Fotografie ebenso von klassischen Genres der Malerei wie von aktuellen Kunstströmungen inspirieren.
Als erste internationale Bewegung der Kunstfotografie prägte der Piktorialismus im Fin de Siècle eine poetische Bildsprache, die bis heute in unserer visuellen Kultur nachklingt. Wichtige Impulse gingen dabei neben der Kunst des Jugendstils, Japonismus und Impressionismus auch vom Symbolismus aus. Der Amerikaner Edward Steichen etwa erhielt Anregungen aus den Schriften des bedeutenden symbolistischen Literaten Maurice Maeterlinck und ließ sich von den Gemälden des Symbolisten Eugène Carrière inspirieren. Zudem verband ihn eine lebenslange Freundschaft mit Auguste Rodin, von dem er auch Fotoaufträge erhielt.
Neu gegründete Fotovereinigungen, wie etwa die 1892 von britischen Kunstfotograf*innen gegründete „Brotherhood of Linked Ring“ und die von dem US-Amerikaner Alfred Stieglitz 1902 gegründete „Photo-Secession“, zielten auf die Anerkennung der Fotografie „nicht als Dienerin der Kunst, sondern als unverwechselbares Medium des individuellen Ausdrucks.“ Neben lokal wie international agierenden Vereinen sorgten Fachzeitschriften und ein reges Ausstellungswesen für die Festigung und den Ausbau eines weitreichenden transatlantischen Netzwerks internationaler Fotograf*innen, was auch zu einer weiten Verbreitung von symbolistischem Bild- und Gedankengut führte.
„Der zentrale Stellenwert symbolistischer Einflüsse auf das noch junge Medium der Fotografie war für viele Zeitgenoss*innen um 1900 offenkundig. Erst im kunsthistorischen Rückblick“, betont die Kuratorin Anita Hachmann, „geriet diese Tatsache lange Zeit in den Hintergrund.“ Hachmann führt weiter aus: „Diese Einflüsse des Symbolismus lassen sich stilistisch wie motivisch nachvollziehen und zwar über die Medien Malerei und Fotografie hinaus auch in Literatur und Musik. Um diese komplexen Verbindungen aufzuzeigen, bieten wir unserem Publikum erstmals einen kostenfreien Videoguide an, der auch einen Einblick in die Rezeption bestimmter Bildmotive in der (Pop-)Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts bietet.“
Die Zeitspanne zwischen 1891 und 1910 gilt als Blütezeit des Piktorialismus. In der Adaption von Bildsujets wie der Sphinx oder der Salomé tritt der Einfluss des Symbolismus besonders deutlich zutage, er hatte jedoch auch stilistisch einen großen Einfluss auf die Fotografie. Ein herausragendes Merkmal des Piktorialismus ist dabei die Unschärfe. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frage nach der Legitimität von Unschärfe im Fotodiskurs thematisiert. Der Erfolg von James McNeill Whistler und das Erscheinen der stark rezipierten Publikation „Naturalistic Photography for the Students of Art“ (1889) heizten die Diskussion im Fin de Siècle schließlich stark an. Wichtig ist: Für die Symbolist*innen – Maler*innen wie Fotograf*innen – war die Unschärfe mehr als ein optisches Phänomen. Sie wurde zur Überhöhung oder Verfremdung des Dargestellten genutzt, um die Grenzen zwischen Realem und Irrealem, zwischen Wachen und Träumen zu verwischen: Die Fotografie wurde so zum bildgewordenen Ausdruck geheimnisvoller, mystischer und spiritueller (Bild-)Wahrheiten, die erst durch den künstlerischen Akt des Bildschöpfenden hinter der Welt des für das Auge Sichtbaren freigelegt werden konnten. Ebenso wie bei den symbolistischen Maler*innen schwingt auch hier die Idee des Kunstschaffenden als Seher*in mit.
„Das im Piktorialismus zentrale Stilmittel der Unschärfe beziehungsweise Verschleierung gehört“, erklärt Co-Kurator Ralph Goertz, „auch heute noch zum Repertoire einer zeitgenössischen fotokünstlerischen Praxis und noch immer liegt darin eine ungemeine poetische Kraft.“ Goertz weiter: „Das Bekenntnis von László Moholy-Nagy ‚Was ich nicht malen kann, fotografiere ich‘ ist im Digitalen Zeitalter allerdings längst überholt, und zwar sowohl in der Fotografie als auch im Medium der Malerei.“ Goertz schließt: „Und ob die Fotografie Kunst ist oder nicht, wurde und wird immer wieder hinterfragt.“
Schausammlung ermöglicht Vergleiche zwischen Fotografie und Malerei
Nie zuvor waren wir einer vergleichbaren Bilderflut ausgesetzt. Auch war die eigene Bildproduktion noch nie so sehr Bestandteil unseres Alltags. Dabei ist nicht zu übersehen, wie die digitale Fotoästhetik der Gegenwart auf Bildformeln und -stile der Kunstfotografie, insbesondere des Piktorialismus zurückgreift.
Dies lässt sich etwa bei zahlreichen Filter-Apps im Social-Media-Kosmos nachvollziehen und setzt sich im Bereich der Bildmanipulation durch Anwendungen künstlicher Intelligenz fort. Die Zusammenschau historischer Aufnahmen mit zeitgenössischen Positionen künstlerischer Fotografie bietet Besuchenden die wertvolle Möglichkeit, Bildstrategien epochenübergreifend zu hinterfragen und offenbart zugleich den bedeutenden Einfluss, den der Symbolismus auf diese hatte. Die unmittelbare Nähe zur Schausammlung des Clemens Sels Museums Neuss bietet Besuchenden der Ausstellung FOTO – KUNST – FOTO zudem die einmalige Gelegenheit, direkte formal-ästhetische Vergleiche und inhaltliche Bezüge zwischen Fotografie und Malerei herzustellen.
Die Realisierung der Ausstellung verdankt sich nicht zuletzt der maßgeblichen Unterstützung der Staatlichen Museen zu Berlin, Kunstbibliothek – Sammlung Fotografie und des Museums für Angewandte Kunst und Gewerbe Hamburg sowie dem Münchner Stadtmuseum, der Sammlung Dietmar Siegert und weiterer Leihgaben von international renommierten Künstler*innen sowie aus Privatbesitz.
Im Beisein der Künstler Elger Esser und Thomas Wrede wird die Ausstellung am Sonntag, 27. Oktober 2024 um 11.30 Uhr eröffnet.
Weitere Informationen finden Sie unter Clemens-Sels-Museum-Neuss.de
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Stand: 24. Oktober 2024