Segen oder Fluch – die digitale Zukunft im Zeichen von Industrie 4.0, Internet der Dinge und KI
„Fit für die Zukunft?“ Mit dieser Einstiegsfrage eröffnete Prof. Dr. Gregor Schiele von der Universität Duisburg- Essen seinen Input zum Workshopthema der digitalen Zukunft.
Beim Internet der Dinge sammeln Sensoren z. B. in einem Fertigungsprozess Daten und senden diese mittels sog. Edge-Geräte in eine Datencloud. Die so generierten Daten können dann zur Prozessoptimierung genutzt werden. 29 Milliarden Geräte sind bis heute schon mit dem Internet verbunden. Schwerpunkte der zukünftigen Anwendung sieht Schiele vor allem in Bereichen wie Smart Home, Logistik, der Industrie 4.0 und dem Internet of Medical Things. Trendbereiche im Themenfeld des Internets der Dinge seien vor allem die Bereiche Sensorik, Edge-Computing, Cybersicherheit, neue Funkstandards wie dem 5 und 6 G-Netz, sowie Wearables wie Smartwatches oder Fitnesstracker.
Die Anwendungsgebiete für künstliche Intelligenz liegen in der Entwicklung automatisierter Argumentationssysteme, maschineller Übersetzung und intelligenter Bild- sowie Spracherkennung. Wichtig seien laut Schiele ein realistischer Blick auf die Technik: gerade bei komplexen Aufgaben sei die Anwendung noch fehleranfällig und müsse mit großen Datenmengen gespeist werden, was einen hohen Zeit- und Kostenaufwand bedeute. Darin sieht Prof. Dr. Schiele jedoch auch eine Chance: neben einer höheren Effizienz, stehe vor allem die Wiederverwendbarkeit von „Lernsystemen“ im Vordergrund der KI-Trends. Ein weiterer zentraler Punkt sei es zudem die Technik erklärbar zu machen und künstliche Intelligenz ethikgeleitet einzusetzen. Eine Grundvoraussetzung von KI-Systemen, so der Wissenschaftler, ist deshalb der „gesunde KI-Verstand“.
Mit einem Appell von Cisco-Chef John Chambers führte Prof. Linus Schleupner von der Rheinischen Fachhochschule in seinen anschließenden Vortrag mit dem Themenschwerpunkt Industrie 4.0 ein: „Vierzig Prozent aller Unternehmen, die neue Technologien und Entwicklungen nicht in ihrem Ablauf integrieren, werden in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden.“ Industrie 4.0 habe dabei das Ziel, klassische Industriezweige mittels intelligenter Fabriken (sog. smart factories) ressourceneffzienter, ergonomischer und wandlungsfähiger umzugestalten.
Wichtig sei vor allem die Erkenntnis, dass die Entwicklung klassischer Gewerbe zu Betrieben der Industrie 4.0 nicht in einem Gesamtpaket gekauft werden könne, sondern der zentrale Stellhebel des Umgestaltungsprozesses selbst sei.
Heutige Unternehmen erkennten zwar an, dass die Digitalisierung stattfände, sähen sich aber vor allem mit dem Fehlen geeigneter Fachkräfte konfrontiert. Schnellere Innovationszyklen, eine Zunahme komplexer Lösungen sowie eine firmeninterne Sicherheitsstruktur, die sich gegen Cyber-Angriffe und Industriespionage wehren könne, seien weitere wichtige Punkte auf der Agenda zur Industrie 4.0, so Prof. Schleupner.
Wo steht Neuss derzeit in Bezug auf die Themen Industrie 4.0, dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz?
Fachkenntnisse und den Prozess der Digitalisierung dort zu etablieren, wo die zukünftigen Fachkräfte ausgebildet würden, in den Neusser Schulen und Hochschulen, seien derzeit die wichtigste Aufgabe der Neusser Bildungspolitik, so die Workshopteilnehmer*innen. Dort müsse angesetzt und die Voraussetzung für „digitales Denken“ geschaffen werden. Dafür bedürfe es an den Bildungsorten einer entsprechenden Ausstattung, die jedoch in Teilen noch fehle.
Vor allem das Themenfeld der Industrie 4.0 benötige eine erweiterte Betrachtungsweise. Zwar sei der lokale Blick wichtig, jedoch müssten die Abläufe hier noch stärker in ein Gesamtsystem eingebettet werden. Im Unternehmen bedürfe es einer konsequenten Fortbildung der Führungskräfte; die Personalauswahl müsse an der Digitalkompetenz der Bewerber ausgerichtet werden.
Weitere Diskussionspunkte der derzeitigen Situation in Neuss waren die Auskömmlichkeit der Datenkapazität sowie teils geringe Geschwindigkeiten der Datenverbindung in Wohn- und Mischgebieten auf Neusser Stadtgebiet. Auch städtische Dienstleistungen gelte es weiter auszubauen. Hier sei noch Aufholbedarf seitens der Verwaltung nötig.
„Die Daten sind schon da, nur die Verknüpfung und fehlende Schnittstellen erschweren die Verwendung dieser im Sinne des Internet der Dinge“. Hinzu käme zudem die „Angst vor Veränderungen“, stellten die Workshopteilnehmer*innen abschließend fest.
Was muss getan werden, um die Themen Industrie 4.0, das Internet der Dinge und künstliche Intelligenz in Neuss zu fördern?
Damit die Stadt Neuss auch bei den Themen Industrie 4.0, dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz für die Zukunft gut aufgestellt ist, gelte es, die derzeitige Situation und den Stand der Digitalisierung fundiert zu analysieren und darauf aufbauend die Arbeitsweise und Abläufe der Stadt und in den Unternehmen zu verändern. Nur so ließen sich Schwachstellen in den relevanten Bereichen aufdecken, so die Diskussionsteilnehmer*innen. Als Vorreiter dafür müsse die Stadtverwaltung ihr Digitalangebot, weiter ausbauen und stadtweite Datenstandards festlegen.
Möglichkeiten für den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Verwaltung wurden z. B. in einem Chat-Bot gesehen, an den Bürger*innen sich auf der Website der Stadt Neuss bei ersten Fragen hinwenden können.
Auch das Bild der „Stadtverwaltung auf dem Laptop“, welches Mitarbeiter*innen mehr Zeit im Homeoffice ermögliche, wurde als Ansatz präsentiert.
Mit solchen Strategien könne auch die Stadtverwaltung als attraktiver Arbeitgeber in der Region punkten.
Einig waren sich die Workshopteilnehmer*innen zudem dabei, die Industriezweige- und Branchen, die in Neuss schon stark aufgestellt sind, bei ihrem Weg zur Industrie 4.0 zu fördern. Die Diskutierenden wünschten sich von der Stadt deshalb eine Initiative zur Verbesserung des Wissensaustausches unter den Unternehmen mit der Forschung der Gründerszene. Helfen könne dabei z. B. ein jährlich stattfindender „Digitaltag Neuss“, an welchem sich Unternehmen, StartUps und Initiativen der Öffentlichkeit präsentierten und untereinander vernetzen könnten.
Mit Experimentierräumen wie Maker-Spaces, neuen Formaten wie Hackathons zu stadtrelevanten Themen oder auch der Integration eines CoWorking-Space in die Planungen zur Umgestaltung des Wendersplatzes, entwickelten die Teilnehmer*innen auch räumlich konkrete Ansätze zur digitalen Zukunft der Stadt Neuss. Auch die Idee zum Aufbau eines Technologiezentrums in der Nähe der Hochschulstandorte, wie dies in Dortmund der Fall ist, wurde eingebracht.
Gerade die Einbeziehung der Öffentlichkeit war ein wichtiger Diskussionspunkt. Alle Bürger*innen der Stadt Neuss müssten von der Digitalisierung und dem Internet der Dinge profitieren und die Neuerungen zu einer Verbesserung ihres Alltags beitragen. Wohnstandort, Geschlecht und vor allem das Alter dürften nicht zu Teilhabeunterschieden oder Ausschluss führen.
Die Themen Industrie 4.0, Internet der Dinge und KIseien heute zudem noch Männerdomänen. Auch hier könne die Stadt Neuss und die Wirtschaftsförderung mit Programmen und Angeboten zur Förderung von Frauen im MINT-Bereich einen wichtigen Beitrag leisten und Impulse setzen.
Den Informationsaustausch zwischen den Schulen, Hochschulen, der Verwaltung und den Bürger*innen in den Themengebieten der Industrie 4.0, dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz zu fördern, sich zuhören und dabei vor allem die Datentransparenz in öffentlichen Bereichen zu beachten, darauf einigten sich die Teilnehmer*innen des Workshops am Ende. Oder wie es eine Teilnehmerin auf den Punkt brachte: „mutig sein“!